Jeder Mensch ist verschieden, jeder Mensch hat seinen Charakter, seine Eigenschaften, seine Besonderheiten. Jeder Mensch ist einzigartig und ganz besonders – und doch nehmen sich andere Menschen heraus, einen Menschen regelmäßig und gezielt nieder zu machen. Nieder zu machen und vor allem klein zu machen und klein zu halten.
Leider ist mein Vater genau so ein Mensch.
Die letzten Jahrzehnte hat er sich extrem verändert und macht alles und jeden nieder. Bloß um selbst gut dazustehen.
Als Kind hatte ich ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Vater. Ich habe sehr viel Zeit mit ihm verbracht. Besonders nachdem mein großer Bruder schon früh ausgezogen war und ich u.a. auch seine Rolle eingenommen habe. Wir haben viel am PC gesessen und er hat mir erklärt, wie ein Computer funktioniert. Wir saßen im Auto und er erklärte mir die Arbeit eines fahrenden Autos. Bei Technikfragen war er immer meine erste Anlaufstelle. Meinen ersten Beruf wählte ich unbewusst wegen ihn aus und wurde Teil der Elektrofamilie. Viele Jahre haben wir uns technisch ausgetauscht und es lief.
Und doch, die Jahre haben ihre Spuren gezogen. Ich weiß nicht, wann wir falsch abgebogen sind, oder besser gesagt, wir verschiedene Wege gegangen sind. Vielleicht als bei mir schwere Depressionen diagnostiziert wurden und ich mit weiteren psychischen Erkrankungen zu kämpfen hatte, und er darüber nicht mitsprechen konnte. Ich weiß nur, dass die Sticheleien von Jahr zu Jahr zunahmen und er mich bei jeder Gelegenheit klein machte:
„Das stimmt nicht! Das habe ich nie gesagt!“
„Du hast ja keine Ahnung!“
„Das hast du falsch verstanden!“
„Das bildest du dir nur ein!“
Wie ich diesen letzten Satz zu hassen gelernt habe. Ich bilde mir etwas ein, weil er es nicht sieht, also bin ich es, der falsch liegt. Klar. Am besten ist, als ich seit mehreren Jahren meine zweite Berufsausbildung in der Verwaltung leidenschaftlich auslebe und er mir mit herablassenden Ton erklärt, wie das Arbeiten in der Verwaltung funktioniert, der eigentlich überhaupt keine Ahnung davon hat.
Das Leben mit meinen Vater ist für mich mittlerweile zur Höhle geworden.
Ich benutze die Begriffe Liebe und Hass nicht gerne, weil sie für mich so eine große aussagekräftige Bedeutung haben. Aber ich muss sagen, ich hasse meinen Vater mittlerweile. Ich halte es in seiner Gegenwart nicht mehr aus. Alles und jeder wird von meinen Vater nieder gemacht. Alles ist scheiße. Jeder ist scheiße und keiner hat eine Ahnung – außer er natürlich. Er weiß alles besser.
Früher konnte ich ohne Probleme zu meinen Vater gehen und um Hilfe bitten. Heute bekomme ich die Antwort: „Und was soll ich da jetzt machen?!“
ICH. Ich. Ich. Ich. Ich.
Kein wir mehr.
Wenn er einmal Hilfe benötigt, soll ich am besten gleich springen. Benötige ich seine Hilfe, werde ich im Regen stehen gelassen. Hole ich mir dann bei jemanden anderen Hilfe und frage ihn gar nicht erst, ist er eingeschnappt und lässt mich das wochenlang spüren. Danke, dass ich mir mittlerweile selbst zu helfen weiß.
Eigentlich wollte ich nicht über meinen Vater schreiben, aber wenn ich sehe, was sein Verhalten mir gegenüber mit mir anstellt, dann muss ich es einfach rauslassen.
Es tut weh, so unglaublich weh, wenn ich bedenke, was wir einmal hatten und vor allem einmal zusammen waren.
Es tut weh, wir er mit mir redet. Er redet, als hätte ich überhaupt keine Ahnung von gar nichts.
Es tut weh, wie er sich mir gegenüber verhält. Als wäre ich noch immer das kleine Kind und müsste in allem belehrt werden.
Es tut besonders weh, wenn er wieder meint, ich würde mir alles nur einbilden. Als würde ich Dinge sehen, die keiner außer mir sieht und er mich so indirekt als verrückt erklärt.
Danke auch.
Jedes Mal, wenn ich bei meinen Vater in der Nähe bin, geht es mir schlecht, ich versuche eine Schutzwand aufzubauen, schaffe es aber nicht immer. Meistens braucht er nur etwas zu sagen und alle Schutzmechanismen sind zerstört. Ich halte seine Gegenwart nicht mehr aus, und ich erwische mich dabei, dass ich nur zu meinen Eltern gehe, wenn mein Vater nicht da ist.
Mein Vater war leider nicht nur einmal der Auslöser für meine Depression, was er abermals entnervt zur Kenntnis nahm, was wiederrum meine Depression freudig aufnahm und mich noch tiefer zog. Es ist ein beschissener Teufelskreislauf.
Ich möchte nicht über meinen Vater nachdenken, und doch ist er jeden Tag in meinen Gedanken – wahrscheinlich weil ich im Unterbewusstsein weiß, was ich verloren habe.
Autor: anonym